Cholin tritt in allen natürlichen Fetten auf und ist in der Nahrung, vor allem in tierischen Lebensmitteln, allgegenwärtig. Die reichsten Quellen sind Eier, Leber und andere Innereien, Soja und fettes Fleisch. Trotzdem treten nicht selten Mangelerscheinungen auf. Ein Grund dafür besteht zum Beispiel darin, dass viele Menschen beim Versuch, ihr Gewicht zu reduzieren, auf den Verzehr von Lebensmitteln, die reich an natürlichen Fetten sind, verzichten. Auch der Konsum von Alkohol und zuckerreichen Lebensmitteln beeinflussen die Cholinwerte negativ. Weiterhin besteht bei Schwangeren ein erhöhter Bedarf an Cholin.
Auch bei einer Ernährungsweise, die nur in begrenztem Umfang Methylgruppen liefert, können Cholin und seine Metaboliten essenziell sein. In diesem Zusammenhang sind zum Beispiel Vegetarier und Veganer Risikogruppen. Schließlich treten bei relativ vielen Menschen genetische Polymorphismen auf, die einen erhöhten Bedarf an Cholin verursachen. Alles in allem nimmt nur ein Bruchteil der Bevölkerung die tägliche empfohlene Menge an Cholin zu sich. Dies hat Auswirkungen auf die Gesundheit.
Cholin ist in allen Gewebearten als wesentlicher Bestandteil der Phospholipide vorhanden. Der Körper speichert es nicht in einem bestimmten Gewebe, aber es liegt in relativ hohen Konzentrationen in wichtigen Organen wie Gehirn, Leber und Nieren vor. Die Plazenta von Schwangeren ist ein weiterer Ort, an dem viel Cholin gespeichert wird. Hierbei handelt es sich es vor allem um die Formen Phosphatidylcholin und Sphingomyelin, Substanzen, die für die gesunde Entwicklung des Fötus wichtig sind.
Cholin und seine Metaboliten üben zum Beispiel in den folgenden physiologischen Vorgängen eine Hauptfunktion aus:
Perinatal
Es ist äußerst wichtig, dass schwangere Frauen genügend Cholin einnehmen. Die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) verlangt sogar, dass zu Säuglingsnahrung, die nicht aus Kuhmilch hergestellt wurde, Cholin hinzugefügt werden soll. Der Grund hierfür ist, dass eine unzureichende Zufuhr von Cholin während der Schwangerschaft genau wie ein Mangel an Folsäure das Risiko des Auftretens von Neuralrohrdefekten und zum Beispiel auch einer missgebildeten Oberlippe (Hasenscharte) deutlich erhöht. Außerdem kann sich ein Mangel negativ auf die nachgeburtliche Entwicklung des Gedächtnisses des Kindes auswirken und zu Herzfehlern führen. Die zusätzliche Gabe von Cholin vor, während und nach der Schwangerschaft kann erhebliche positive und langfristige Auswirkungen auf Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Lernfähigkeit von Neugeborenen erzielen.
Cholesterin
Wenn in der Leber nicht genügend Phosphatidylcholin vorhanden ist, werden Cholesterin und Fett nicht ausgeschieden, sodass sie sich in der Leber anreichern. Ein Mangel an Cholin kann somit zu Fettleber und Leberschäden führen. Eine Methotrexat-bedingte nichtalkoholische Fettleber kann durch die Gabe von Cholin sogar rückgängig gemacht werden. Methotrexat ist ein Immunsuppressor und Entzündungshemmer, der zum Beispiel bei rheumatoider Arthritis, multipler Sklerose, Morbus Crohn und Asthma verwendet wird.
Als „Biotransformator“ ist die Leber das wichtigste Methylierungsorgan. Eine Studie des Cholinexperten Professor Zeisel zeigt, dass Methyldonoren wie Cholin einen wichtigen Einfluss auf die Methylierung von Genen ausüben, die Fettleber und Fibrose verursachen können. Ob sich diese Krankheiten manifestieren, ist teilweise abhängig vom „Ein- oder Ausschalten“ der hierfür verantwortlichen Gene. Dieser epigenetische Mechanismus von Cholin spielt somit eine wesentliche Rolle bei der Verhinderung von Fettleber und Fibrose.
Hirnatrophie und Alzheimer
Es wird angenommen, dass ausreichend hohe Konzentrationen von Cholin das Gehirn vor altersbedingtem Rückgang kognitiver Fähigkeiten und bestimmten Formen der Demenz wie unter anderem der Alzheimer-Krankheit schützen. Ein Grund dafür besteht möglicherweise darin, dass ausreichend hohe Dosen von Cholin die Neuronen, das zerebrale Volumen und die neuronale Übertragung erhalten können. In einer Doppelblindstudie wurden Patienten in einem frühen Stadium der Demenz des Alzheimertyps sechs Monate lang mit 25 g/Tag Phosphatidylcholin behandelt. Dabei wurden im Vergleich zum Placebo bei mehreren Tests bescheidene Verbesserungen der Gedächtnisleistung festgestellt.
Die Erhaltung der mit dem Gedächtnis im Zusammenhang stehenden neurologischen Bahnen kann möglicherweise eine Rolle bei der Prävention von zu Alzheimer führenden negativen Veränderungen der physischen Form des Hirns spielen. Mehrere Studien zeigen, dass pharmakologisch relevante Mengen von Cholin bei älteren Menschen mit kognitiven Problemen, schlechtem Gedächtnis und Alzheimer in einem frühen Stadium klinisch wirksam sein können. Weiterhin zeigen Untersuchungen, dass bei dieser Gruppe bessere Gedächtnisleistungen (visuell und verbal) mit einer höheren Aufnahme von Cholin im Zusammenhang stehen.
Weiße-Substanz-Hyperintensitäten (WMH) treten bei 90 Prozent aller Menschen mit vaskulärer Demenz und Alzheimer-Krankheit auf. Vaskuläre Demenz ist durch die Degeneration von Hirnregionen infolge eingeschränkter Blutversorgung gekennzeichnet. Die Forschung hat gezeigt, dass Menschen mit ausgeprägteren WMH deutlich schlechtere kognitive Funktionen und eine stärkere Gehirnatrophie aufweisen. Weiterhin haben Studien ergeben, dass eine inverse Beziehung zwischen der Cholinaufnahme und dem WMH-Volumen besteht: Je mehr Cholin aufgenommen wird, desto kleiner ist das WMH-Volumen.
Herz- und Kreislauferkrankungen
Erhöhte Mengen von Entzündungsmarkern im Blutserum sind einer der wichtigsten Risikofaktoren für die Entstehung von Arteriosklerose und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Epidemiologische Studien haben einen Zusammenhang zwischen der langfristigen Einnahme von Cholin und einem verminderten Sterberisiko durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen nachgewiesen. Der Grund besteht darin, dass Cholin Entzündungen und andere Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen verringert.
Spätdyskinesien
Spätdyskinesien treten am häufigsten bei Patienten auf, die über längere Zeiträume mit Neuroleptika behandelt wurden. Es handelt sich dabei um eine Bewegungsstörung mit unwillkürlichen Bewegungen unter anderem der Zunge, der Lippen, dem Gesicht oder der Extremitäten. Die Ursache liegt in einer Störung der Neurotransmission auf der Ebene der cholinergen Interneuronen im Striatum, einem Bereich im Großhirn. Die bekanntesten Funktionen des Striatums sind Planung und Modulation von Bewegungen. Hohe Dosen von Cholin (mehrere Gramm) werden benötigt, um die Cholinwerte im Gehirn über die normalen Werte anzuheben und die Bildung von mehr Acetylcholin in den Nervenenden anzuregen. Dadurch verringern sich die Symptome der Dyskinesie. Cholin, aber auch andere Vitamine und Antioxidantien, werden daher heute oft als adjuvante Therapie bei der Behandlung mit Neuroleptika eingesetzt, zum Beispiel bei Psychosen und Schizophrenie.
Bipolare Störung
Es liegen nur begrenzte Hinweise darauf vor, dass Patienten mit bipolarer Störung und schnell wechselnden Stimmungen von der Verabreichung von Cholin profitieren.
Die reguläre empfohlene Tagesdosis von Cholin liegt bei 425 mg/Tag für Frauen über 18 Jahren, 450 mg/Tag für schwangere Frauen und 550 mg/Tag für Frauen während der Stillzeit. Bei Männern über 18 Jahre liegen die Tagesdosen zwischen 400 und 3500 mg/Tag. Dosierungen von Cholin zwischen 500 mg und bis zu 20 g pro Tag wurden ein- bis dreimal täglich angewendet, um Asthma, Hirnschäden und Schizophrenie zu behandeln. Dosierungen von 15 mg bis 8,5 g wurden über 24 Wochen angewendet, um das Gedächtnis und die körperliche Ausdauer zu verbessern, sowie zur Vorbeugung von Erkrankungen der Leber.