Immer mehr Beweise für die Interaktion zwischen Gehirn und Immunsystem

Mittwoch 9-November-2016

In der klinischen PNI wissen wir schon seit langem, dass das Gehirn und das Immunsystem ständig miteinander „reden“. Wissenschaftliche Studien, die dies belegen, häufen sich in den letzten Jahren. Hier ein kurzer Überblick über die wichtigsten Ergebnisse.

 

Im Jahr 1981 entdeckte einer der Begründer der Psycho-Neuro-Immunologie, David Felten, ein Netzwerk von Nerven, das mit Komponenten des Immunsystems wie Lymphozyten, Makrophagen und Mastzellen kommuniziert. Später wurde dann festgestellt, dass diese Verbindung auch andersherum funktioniert: Auch das Immunsystem kann offensichtlich direkt mit dem Nervensystem kommunizieren. In diesem Zusammenhang sind vor allem die sogenannten Neuropeptide interessant.

 

Neuropeptide verändern das Gehirn

Neuropeptide ähneln in gewisser Hinsicht Neurotransmittern. Die Neuronen verwenden sie, um miteinander zu kommunizieren. Bis heute wurden mehr als hundert verschiedene Neuropeptide entdeckt, die eine Funktion im Nervensystem ausüben. Während Neurotransmitter jedoch nur eine kurzfristige Wirkung besitzen, ist die der Neuropeptide nachhaltiger.

 

Neuropeptide sind in der Lage, die Genexpression zu beeinflussen und neue Synapsen zu schaffen. Sie können daher das Gehirn, im Gegensatz zu den Neurotransmittern, tatsächlich dauerhaft verändern. Und dies vor allem in Bezug auf Emotionen und andere psychische Funktionen. Daher spielen Neuropeptide eine Rolle beim Belohnungsverhalten, beim sozialen Verhalten, bei der Fortpflanzung, beim Gedächtnis und bei der Lernfähigkeit.

 

Tiefgreifende Integration von Systemen

In den letzten Jahrzehnten hat die klinische PNI auf der Grundlage von Feltens Arbeiten die tiefgreifende Integration zwischen dem Nerven- und Immunsystem immer deutlicher sichtbar werden lassen. Ständig werden weitere Reaktionswege entdeckt, die eine effiziente Kommunikation zwischen beiden Systemen gewährleisten.

 

Es würde zu weit führen, alle Zusammenhänge in diesem kurzen Artikel erläutern zu wollen. Darum werden wir uns an dieser Stelle ausschließlich mit der HPA-Achse befassen. Die HPA-Achse ist das Netzwerk, das den Hypothalamus, die Hypophyse und die Nebennieren miteinander verbindet. Diese drei Organe sind für die Regulation von Stressreaktionen, Verdauung, Immunsystem, Sexualität, Stimmung und Energieverbrauch zuständig.

 

Langfristig erhöhte Stressniveaus

Ein wichtiges, an den Abläufen der HPA-Achse beteiligtes Hormon ist das Corticotropin-Releasing-Hormon (CRH). Der Hypothalamus setzt dieses Hormon als Reaktion auf Stress, Krankheit und körperliche Betätigung frei, wenn sich Cortisol im Blut befindet und als Bestandteil des Schlaf-Wach-Zyklus. Direkt nach dem Wachwerden wird der Spitzenwert erreicht, der im Laufe des Tages langsam wieder abflacht.

 

Wenn der Mensch jedoch unter Stress steht, bleibt der Cortisolspiegel langfristig erhöht. Stress wird vom Körper als unmittelbar drohende Gefahr wahrgenommen. Als Reaktion darauf löst Cortisol eine Reihe von Veränderungen im Stoffwechsel aus, um sicherzustellen, dass genügend Energie zur Verfügung steht, falls man fliehen oder kämpfen muss.

 

Eine der Taktiken des Energiesparens besteht in der Unterdrückung des „energiehungrigen“ Immunsystems. Die dadurch eingesparte Glucose kann nun genutzt werden, um der vorliegenden lebensbedrohlichen Situation die Stirn zu bieten. Dies bedeutet einen evolutionären Vorteil.

 

Aber beim heutigen Menschen kann das Stressniveau auch aus ganz anderen Gründen erhöht sein. Und nur in den wenigsten Fällen handelt es sich dabei wirklich um eine lebensbedrohliche Situation. Die HPA-Achse hat sich entwickelt, lange bevor wir es mit Arbeits- oder Prüfungsstress zu tun bekamen und ist nicht in der Lage, adäquat auf solche Belastungen zu reagieren. Daher kann langanhaltender Stress die Wirksamkeit des Immunsystems drastisch reduzieren.

 

Oxytocin beruhigt die HPA-Achse

Aber es liegen auch Hinweise darauf vor, dass es Substanzen gibt, die dabei helfen, die HPA-Achse wieder zu beruhigen. Nehmen wir zum Beispiel Oxytocin, ein hochinteressantes Neuropeptid. Diese Substanz tritt bei uns allen in mehr oder weniger großem Ausmaß bei positivem zwischenmenschlichem Kontakt aus. Es besteht ein proportionaler Zusammenhang zwischen der im Körper vorhandenen Menge dieses Neuropeptids und Empfindungen wie Vertrauen und Zugehörigkeit.

 

Auffallend ist, dass bei Menschen mit Autismus gehäuft ein verringerter Oxytocinspiegel vorliegt, der die Probleme im Bereich der zwischenmenschlichen (non-verbalen) Kommunikation erklären könnte.  Auf jeden Fall wurde jedoch nachgewiesen, dass Oxytocin dabei hilft, die HPA-Achse zu beruhigen. Außerdem wurde gezeigt, dass eine beruhigte HPA-Achse gesundheitlichen Nutzen bringt, zum Beispiel eine beschleunigte Wundheilung.

 

Die Wechselwirkung zwischen Hypothalamus, Hypophyse und Nebennieren ist jedoch äußerst komplex. Darum befasst sich die klinische PNI weiterhin intensiv mit der HPA-Achse und deren Wirkung, sowie verschiedenen anderen Achsen und Reaktionswegen, die die verschiedenen Körpersysteme miteinander verbinden. Klar ist jedenfalls, dass eine Behandlung von Stress und den damit verbundenen gesundheitlichen Problemen ohne das Verständnis der HPA-Achse nicht erfolgreich sein kann.

 

Jeder Stressor ruft eine andere Immunantwort hervor

Eine Metaanalyse von 300 Studien hat gezeigt, dass sich verschiedene Arten von Stress auf unterschiedliche Aspekte des Immunsystems auswirken. Dabei wurden kurzfristige Stressoren wie Prüfungen mit chronischen Stressoren wie lebensverändernden Ereignissen verglichen.

 

Kurzfristige Stressoren zeigten die Tendenz, die Immunität gegen Viren zu unterdrücken, während die humorale Immunität normal blieb. Die humorale Immunität schützt gegen Pathogene außerhalb der Zelle, wie zum Beispiel Parasiten und Bakterien. Chronische Stressoren neigten eher dazu, beide Arten von Immunität langfristig zu unterdrücken. Dies führt zu einer erhöhten Anfälligkeit gegenüber allen Arten von Krankheiten.

 

Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen immer wieder, dass Menschen in Stresssituationen messbar anders auf Verletzungen reagieren. Dies kann sich in verzögerter Wundheilung, häufiger auftretenden Infektionen oder chronischen Low-grade-Entzündungen äußern. Stress hat somit einen messbaren Effekt auf die Stärke des Immunsystems und damit auch auf dessen Fähigkeit, uns zu schützen. Stressmanagement kann daher wirklich dazu beitragen, das Immunsystem deutlich zu stärken.

 

Fazit

Jahrelang wurde angenommen, dass das Immunsystem ein autonom arbeitendes System wäre. Dies scheint nicht der Fall zu sein: Das Gehirn und das Immunsystem stehen in einem ständigen gegenseitigen Dialog. Aber es gibt noch viel mehr Systeme in unserem Körper, die miteinander kommunizieren. Mit klinischer PNI verfügen Sie über ein Behandlungskonzept, das alle diese Aspekte erwägt, bevor mit der eigentlichen Behandlung begonnen wird.