Das Immunsystem, das Mikrobiom und der Biorhythmus

Donnerstag 11-Oktober-2018

Der circadiane Rhythmus, das Immunsystem und das Mikrobiom sind eng miteinander verknüpft. Störungen bei einer dieser Komponenten können das gesamte System aus dem Gleichgewicht bringen. In dieser fünfteiligen Serie berichten wir über den aktuellen Stand der Wissenschaft und vermitteln Ihnen die notwendigen Werkzeuge für Ernährung, Bewegung, Supplementierung und Lebensstil.

 

Teil 1: Physiologie und Pathologie

Ein widerstandsfähiges und vielfältiges Mikrobiom ist entscheidend für das Immunsystem und viele weitere physische Funktionen. Aber der Körper reagiert auch auf den Rhythmus von Tag und Nacht. Macht das Mikrobiom – das sich weitgehend in der Dunkelheit des Darms befindet – hier mit? Und was können wir damit in der orthomolekularen Praxis anfangen?

 

Physiologie und Pathologie

Das Mikrobiom besteht aus „freundlichen“ Bakterienstämmen, von denen sich die meisten im Dickdarm befinden. Darüber hinaus leben kleinere Populationen im Dünndarm, im Mund, auf der Haut und sogar in der Nase. Zusammen sind dies Billionen von Zellen, zehnmal mehr als es menschliche Zellen im Körper gibt. Während bisher – durch Untersuchung von Stuhlproben – nur wenige hundert Bakterienstämme isoliert wurden, wurde im Rahmen des Human Microbiome Project, einer bahnbrechenden Genstudie aus dem Jahr 2012, deutlich, dass das Mikrobiom mehr als 10.000 verschiedene Arten enthält.1 Die gleiche Studie hat auch gezeigt, dass das Gesamtgenom unseres Mikrobioms um ein Vielfaches größer ist als das menschliche Genom. Menschen verfügen über etwa 22.000 verschiedene proteincodierende Gene, während das Mikrobiom davon insgesamt schätzungsweise 8 Millionen besitzt.1 Aber was bedeuten diese unvorstellbar hohen Zahlen nun für unsere Gesundheit?


Die enorme Arten- und Genvielfalt sorgt dafür, dass das Gesamtsystem aus Mensch und Mikrobiom – sofern beide gesund sind – äußerst flexibel auf Faktoren aus der Umwelt reagieren kann. Wenn wir selbst über kein geeignetes Enzym verfügen, um eine bestimmte Substanz in unserer Nahrung zu verarbeiten, dann sind oft Bakterien zur Stelle, die dies in mehr oder weniger hohem Maße sehr wohl können. Kurz gesagt: Die Symbiose zwischen Mensch und Mikrobiom erhöht unsere Widerstandsfähigkeit im Kampf ums Überleben. So fehlt beispielsweise vielen Erwachsenen (vor allem in Afrika und Asien) das Enzym Lactase. Dadurch gelangt die Lactose unverdaut in den Darm und kann dort zu Überempfindlichkeitsreaktionen wie Gasbildung und Bauchgrummeln führen. Aber nicht jeder, dem es an Lactase mangelt, leidet gleich stark unter diesen Beschwerden. Das hat etwas mit bestimmten Darmbakterien zu tun, die Lactose fermentieren können. Einige Menschen mit „Lactoseintoleranz“ können daher dank einer aktiven, gesunden Darmflora leicht bis zu 25 Gramm Lactose auf einmal konsumieren.2


Ob dies bei jedem funktioniert, ist allerdings noch nicht bekannt. Das Mikrobiom unterscheidet sich von Individuum zu Individuum mindestens so sehr wie die DNA oder ein Fingerabdruck. Grob gesagt gibt es beim Menschen drei „Enterotypen“ oder Darmprofile, wobei Bacteroidetes, Prevotella oder Ruminococcus in allen drei am häufigsten auftreten.3


Aber diese Zusammensetzung kann im Laufe der Zeit auch variieren, teilweise in Abhängigkeit von der Ernährung. Werden viele oder wenige Ballaststoffe aufgenommen, viele oder wenige Fette, Kohlenhydrate und Proteine? Derartige Veränderungen wirken sich bereits innerhalb von 24 Stunden auf die Zusammensetzung der Darmflora aus.4 Der Umstand, dass die Zusammensetzung so stark variieren kann, deutet darauf hin, dass auch die Flexibilität im Umgang mit Umweltfaktoren Schwankungen und Veränderungen unterliegt, von Tag zu Tag und von Person zu Person. Gleichzeitig öffnet diese Erkenntnis die Tür zu Interventionen bei Ernährung, Bewegung, Supplementierung und anderen Lebensstilfaktoren. Mehr dazu erfahren Sie in den letzten beiden Teilen dieser Serie.

 

Weitreichender Einfluss auf die Physiologie

Das Mikrobiom ist für das Funktionieren des Ganzen essenziell und unterstützt seinen Wirt bei vielfältigen physiologischen Prozessen. Am auffälligsten betrifft dies die Verdauung. Das erscheint logisch, da sich das Mikrobiom ja im Dickdarm befindet. In Wirklichkeit ist es jedoch weniger logisch, als es auf den ersten Blick scheint. Der Mensch verfügt über ein eigenes Verdauungsenzyme, um Proteine, Fette und Kohlenhydrate aufzuspalten, sodass sie vom Körper aufgenommen werden können. Dazu brauchen wir kein Mikrobiom. Versuchstiere, die in einer sterilen Umgebung geboren und aufgezogen werden, sind durchaus in der Lage, ihr Futter zu verdauen.


Bis der Darminhalt im Dickdarm ankommt, wurden ihm die Kohlenhydrate, Fette und Proteine längst entzogen. Was übrig bleibt, sind unverdauliche Reste, meist Ballaststoffe. Die Verdauung dieser Ballaststoffe ist Aufgabe von nützlichen Bakterien (die aus ihnen Energie beziehen). Davon profitieren nicht nur sie selbst, sondern auch wir profitieren von den „Überbleibseln“. Dabei handelt es sich nämlich oft um Substanzen, die die Funktion des Darms und sogar des Gehirns günstig beeinflussen können. Insbesondere kurzkettige Fettsäuren wie Butyrat und Acetat sind besonders wichtig für den Appetit, den Zuckerhaushalt und vieles mehr.5, 6, 7 Bakterien können aber auch funktionelle Proteine und Vitamine herstellen, die uns als Wirten zugutekommen.4

 

Die Rolle des Immunsystems

Vielleicht noch wichtiger ist der Einfluss des Mikrobioms auf das Immunsystem. Dies beginnt bereits bei der Geburt (und möglicherweise noch früher, schon während der Schwangerschaft), wenn der Magen-Darm-Trakt des Kindes mit Bakterien besiedelt wird, die aus der Vagina, der Haut und dem Darm (und wahrscheinlich auch der Plazenta) der Mutter stammen. 8 Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass die Störung dieses natürlichen Prozesses zum Beispiel durch einen Kaiserschnitt oder den Einsatz von Antibiotika bei sehr kleinen Kindern das Risiko von Problemen des Immunsystems, insbesondere das Risiko von Allergien, Asthma und Ekzemen, erhöht.9


Zur Erinnerung: Das Immunsystem umfasst unter anderem die Haut und die Schleimhäute (die mechanische Abwehrbarriere) sowie Abwehrzellen wie zum Beispiel weiße Blutkörperchen (Leukozyten) und verschiedene Arten von Lymphozyten und Antikörpern (Immunglobuline). Darüber hinaus sind Mandeln, Lymphknoten, Thymus und Milz beteiligt.


Das Immunsystem ist bei Säuglingen noch sehr unerfahren: genau wie das Gehirn. Das Gehirn muss Sprache und unzählige andere Dinge erlernen, wodurch ein weit verzweigtes neuronales Netzwerk entsteht. Das Immunsystem muss lernen, Krankheitserreger zu erkennen und zu beseitigen. Dies gilt besonders für die Lymphozyten. Schon bei der Geburt verfügen die Lymphozyten über sichere Abwehrkraft gegen die Außenwelt, nämlich die angeborene Immunität, die ein Kind von der Mutter erbt.9 Mindestens ebenso wichtig sind jedoch die erworbenen Abwehrkräfte, die ein Mensch im Laufe seines Lebens erlernt. Durch den Kontakt mit Parasiten, Infektionen, Nährstoffen und vor allem Darmbakterien werden die Lymphozyten „trainiert“.9


Jede Begegnung mit potenziell gefährlichen Eindringlingen führt zu (epigenetischen) Anpassungen in den T-Zellen. Auf diese Weise merken sie sich, wie man einen spezifischen Krankheitserreger am besten bekämpft. Die Lymphozyten verfügen über eine enorme immunologische „Datenbank“, mit der sie potenzielle Krankheitserreger bekämpfen können. Dieses Wissen ist in den Genen gespeichert. Die Aktivierung dieses Wissens erfolgt vor allem in den ersten Lebensjahren im Thymus.9


Dort reifen Lymphozyten zu erwachsenen T-Lymphozyten heran. Im Epigenom der T-Zellen sammelt sich im Laufe der Zeit das Wissen über Infektionen und andere immunologisch relevante Ereignisse, die ein Mensch in der Vergangenheit erlebt hat. Nach der Pubertät schrumpft der Thymus. Danach können dort keine neuen T-Lymphozyten mehr heranreifen.9 Um die Immunität dennoch aufrechtzuerhalten, wenden die T-Lymphozyten eine intelligente Methode an: Erkrankt ein Erwachsener an einer Infektion, werden die Lymphozyten reaktiviert. Sie beginnen sich zu vervielfältigen. Einige der „Nachkommen“ spezialisieren sich zu Gedächtniszellen. Diese Gedächtniszellen haben eine sehr hohe Lebensdauer, was bedeutet, dass der jeweilige Mensch noch lange Zeit nach einer überstandenen Infektion vor diesen spezifischen Krankheitserregern geschützt ist.9


Das wichtigste Training des Immunsystems erfolgt somit durch den Kontakt mit dem Mikrobiom. Dies gilt insbesondere für den Dünndarm, wo sich die Peyer-Plaques (immunzellreiche Bereiche) befinden. Dort findet – auch bei Erwachsenen – viel Kommunikation zwischen Darmbakterien und dem Immunsystem statt. Dies bezeichnet man als Crosstalk. Es zählt zu den Aufgaben des Immunsystems, mit nützlichen Bakterien freundlich umzugehen. Daher duldet es, dass diese Bakterien alle Hohlräume der Darmwand bevölkern. Dadurch wird verhindert, dass sich dort krankheitserregende Bakterien ansiedeln. Falls dies doch einmal geschieht, ist es Aufgabe des Immunsystems, die Krankheitserreger mit einer heftigen Entzündungsreaktion zu beseitigen. Die Exposition gegenüber nützlichen Bakterien ist daher nicht nur ein effektiver Weg, das Immunsystem zu „erziehen“, sondern dient auch als lokaler Schutz vor pathogenen Bakterien.9

 

Dysbiose

Es gibt Situationen, in denen das Mikrobiom aus seinem dynamischen und elastischen Gleichgewicht gerät. So kann zum Beispiel der Einsatz von Antibiotika bestimmte Bakterienstämme selektiv aus dem Ganzen entfernen, wodurch das Ökosystem, das die Darmflora ja darstellt, dauerhaft geschädigt wird. Dann liegt eine Dysbiose vor.9 Dies kann lebenslange Folgen für die Gesundheit nach sich ziehen, insbesondere, wenn die Dysbiose im Säuglingsalter auftritt, also in einer Lebensphase, in der sich das Immunsystem noch in der Entwicklung befindet.


Eindeutig erwiesen ist, dass der Einsatz von Antibiotika bei Säuglingen die Darmflora dauerhaft verändert. Zudem wurden Zusammenhänge zwischen dem Einsatz von Antibiotika bei Säuglingen und dem Risiko für allergische Symptome wie Asthma, Ekzeme, Heuschnupfen, anaphylaktische Reaktionen und Darmbeschwerden aufgrund von Lebensmittelallergien gefunden, obwohl auch entgegenlautende Studienergebnisse vorliegen.9 Weiterhin wurde festgestellt, dass sich die Darmflora von Menschen mit allergischen Beschwerden von derjenigen gesunder Menschen unterscheidet. Beispielsweise finden sich im System von Menschen mit atopischem Ekzem mehr Clostridien und weniger Bifidobakterien als bei Menschen ohne Ekzeme. Außerdem steigt das Risiko, an einem Ekzem zu erkranken, wenn die Vielfalt der Darmflora abnimmt.


Zur Erklärung von Allergien wird oft die Hygienehypothese herangezogen, die davon ausgeht, dass der fehlende Kontakt mit krankheitserregenden Bakterien (und Parasiten wie Würmern!) dazu führt, dass das Immunsystem bereits durch den Kontakt mit harmlosen Substanzen aus der Umwelt eine übertrieben starke Aktivität entwickeln kann.10 Obwohl dies zum Teil bereits erklärt, wie Allergien entstehen, wird zunehmend deutlich, dass dabei auch noch weitere Faktoren eine Rolle spielen. Auch der Zeitpunkt der Exposition, die erbliche Veranlagung und die Art der Exposition scheinen wichtig zu sein. Darüber hinaus wird immer deutlicher, dass Dysbiose auch bei Erkrankungen wie dem Reizdarmsyndrom, Typ-1-Diabetes, IBD (Morbus Crohn und Colitis ulcerosa) sowie bei Stoffwechselstörungen wie Diabetes und Fettleibigkeit eine Rolle spielen kann.9

 

Biorhythmus, Immunsystem und Mikrobiom

Welchen Einfluss hat der Biorhythmus nun auf die komplexen Wechselwirkungen zwischen Immunsystem und Mikrobiom? Nur zur Erinnerung: Die biologische Uhr reguliert den circadianen (24-Stunden-) Rhythmus. Diese „Uhr“ besteht aus einer kleinen Gruppe von Zellen im Hypothalamus, dem sogenannten suprachiasmatischen Kern. Das auf die Netzhaut der Augen fallende Licht löst Nervenimpulse aus, die über spezielle Ganglienzellen in den suprachiasmatischen Kern geleitet werden. Dieser regelt den Schlaf-Wach-Rhythmus, indem er unter anderem die Epiphyse (Zirbeldrüse) veranlasst, das Hormon Melatonin freizusetzen. Die Organe (Leber, Darm, Nieren) enthalten kleine Satelliten der biologischen Uhr; Rezeptoren, die sensitiv für die Wirkung von Melatonin sind, sodass die Organe dem circadianen Rhythmus folgen.11


Der Wechsel zwischen Hell und Dunkel ist entscheidend für die Stellung der biologischen Uhr. Licht wirkt als ein sogenannter Zeitgeber, als Faktor also, der unserem Gehirn Informationen über Zeitabläufe meldet. Wie funktioniert das bei Organismen, die sich ständig im Dunkeln befinden, wie zum Beispiel Darmbakterien? Das ist bei den meisten Bakterienarten nicht bekannt. Bei lichtempfindlichen Cyanobakterien wurde jedoch so etwas wie ein 24-Stunden-Rhythmus gefunden, mit dem diese Bakterienart Veränderungen der Umgebungsbedingungen antizipiert.12, 13 Außerdem wurde im Jahre 2016 entdeckt, dass Enterobacter aerogenes empfindlich auf die Wirkung von Melatonin reagiert, das vom Wirt im Magen-Darm-Trakt freigesetzt wird. Dieses Bakterium reagiert darauf mit erhöhter Bewegungsintensität und schart sich zusammen.14 Es ist daher möglich, dass zumindest ein Teil unserer Darmflora über eine eigene biologische Uhr verfügt.


Menschen und Tiere neigen dazu, zu festen Zeiten Nahrung aufzunehmen, stimuliert durch Hormone, die den Appetit regulieren. Diese Hormone werden jeden Tag etwa zur gleichen Zeit aktiv. Wann dies stattfindet, wird durch die biologische Uhr gesteuert. Diese Zeiten der Nahrungsaufnahme könnten nun theoretisch als Zeitgeber für das Mikrobiom dienen. Und das ist tatsächlich auch der Fall, denn es wurde nachgewiesen, dass mit ihnen deutlich wahrnehmbare Schwankungen der Darmflora eingehen.15 Aus Studien, die in den letzten Jahren durchgeführt wurden, geht hervor, dass solche Wechselwirkungen zwischen dem circadianen Rhythmus des Wirtes und der Darmflora (bei Labormäusen) zu 60 Prozent für Veränderungen der Mengen an Clostridien, Lactobazillen und Bacteroidetes verantwortlich sind, derjenigen Arten also, die von Natur aus reichlich im Mikrobiom vorkommen. Sie oszillieren stetig mit der biologischen Uhr.15 Die Phasen in der Zusammensetzung des Mikrobioms verlaufen im Zusammenspiel mit verschiedenen Phasen des Stoffwechsels: Wenn der Energiestoffwechsel, das Zellwachstum und die DNA-Reparatur ihr Intensitätsmaximum erreichen, befinden sich Darmmobilität und -detoxifikation an ihrem Minimum und umgekehrt.

 

Circadianer Rhythmus und Darmflora

Wird der circadiane Rhythmus des Wirtes gestört, hat dies Folgen für die Zusammensetzung der Darmflora. So ist beispielsweise bekannt, dass die Darmflora von Vielfliegern und Menschen, die im Schichtdienst arbeiten, ein vom Durchschnitt abweichendes Bild zeigen. Und wenn der circadiane Rhythmus bei Labormäusen dauerhaft gestört wird, ist dies mit einem höheren Risiko für Glucoseintoleranz, Insulinresistenz, Typ-2-Diabetes und Fettleibigkeit verbunden.16 Bei Mäusen konnten diese Stoffwechselerkrankungen überdies durch eine Fäzestransplantation auf sterile, gesunde Mäuse übertragen werden. Das bedeutet, dass die Dysbiose der Darmflora, die unter anderem die Folge einer Störung der biologischen Uhr sein kann, die Ursache von Stoffwechselstörungen sein kann oder zumindest zu deren Entstehung beitragen kann.15


Darüber hinaus wird das gesamte System noch anfälliger für circadiane Störungen, wenn Tiere auf eine zucker- und fettreiche Diät gesetzt werden (eine Nachahmung der westlichen Ernährung). Die Darmflora von Versuchstieren (Mäusen) erwies sich bei dieser Diät als viel weniger resistent gegen eine wöchentliche Umkehrung des Tag-Nacht-Rhythmus als die von Mäusen mit einer für Mäuse geeigneten Diät.15 Eine der dramatischsten Auswirkungen einer circadianen Störung auf das Mikrobiom bei Mäusen ist die Zunahme des entzündungsfördernden Bakteriums Ruminococcus.15 Gleichzeitig nehmen die entzündungshemmenden Lactobazillen ab (wenn die Mäuse zusätzlich auch einer zucker- und fettreichen Diät folgen). Die Folgen dieses zweischneidigen Schwertes sind Leaky Gut und Darmentzündung.15 Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die (gestörte) Interaktion zwischen Darmbakterien und den Zellen des Darmepithels als Folge einer westlichen Ernährung und/oder circadianen Störung auch beim Menschen den berüchtigten Leaky Gut (Hyperpermeabilität des Darmepithels) verursacht. Diese Schwächung der Barrierefunktion des Darmepithels führt wiederum zu Low-grade-Entzündungen, sowohl systemisch als auch lokal im Darm. Übrigens konnte man den circadianen Rhythmus des Mikrobioms bei Mäusen, deren biologische Uhr nicht funktionierte, nachahmen, indem man sie zu festen Zeiten fütterte, die den Zeiten entsprachen, an denen Mäuse normalerweise fressen. Dies liefert einen wichtigen Hinweis darauf, dass Essen zu festen Zeiten eine natürliche Gegebenheit und Teil des circadianen Rhythmus ist.15


Obwohl diese Studien vor allem an Mäusen durchgeführt wurden, gibt es auch Hinweise darauf, dass Essen am späten Abend oder unregelmäßiges Essen zu Übergewicht beim Menschen beitragen kann. So hat beispielsweise eine vor kurzem durchgeführte Studie gezeigt, dass ein herzhaftes Frühstück und ein mäßiges Abendessen im Vergleich zu einer umgekehrten Mahlzeitenfolge, bei der am Abend die herzhaftere Mahlzeit verzehrt wurde, zu einer deutlichen Verbesserung der Stoffwechselmarker (Blutdruck, Cholesterin, Glucose) führten.17 Aus weiteren Studien geht hervor, dass zu kurzer Nachtschlaf zum metabolischen Syndrom beiträgt.18, 19


Circadiane Veränderungen im Mikrobiom werden über verschiedene Rezeptoren (PPAR-alpha, ROR-alpha und RevEr-alpha) auf die biologische Uhr im Dünndarmepithel zurückgekoppelt. Dies führt – bei einem normalen Biorhythmus – zu einer Reduzierung der Cortisolproduktion in der Aktivphase und einer Erhöhung der Cortisolproduktion in der Ruhephase (bei Mäusen). Bei sterilen Mäusen findet keine Unterdrückung der Cortisolproduktion statt, die folglich Tag und Nacht gleich hoch bleibt. Ein chronisch erhöhter Cortisolspiegel hat jedoch negative Folgen für das Immunsystem. Es wird unterdrückt, wodurch zum Beispiel die Beseitigung von Krankheitserregern beeinträchtigt wird.20 Circadiane Störungen des Mikrobioms haben außerdem auch Auswirkungen auf den circadianen Rhythmus der Leber, was wiederum Implikationen für die Funktionstüchtigkeit und Gesundheit des Wirtes nach sich zieht, zum Beispiel bei der Detoxifikation nach Medikamenteneinnahme. 11


In unserer nächsten enews-Ausgabe finden Sie den zweiten Teil dieser Serie zur biologischen Uhr, dem Mikrobiom und dem Immunsystem: „Diagnostik: Symptome und Messbarkeit“.

 

Literatur

1. Nature. 2012 Jun 13;486(7402):207-14. Structure, function and diversity of the healthy human microbiome. Human Microbiome Project Consortium.

2. Nutrients. 2015 Aug 13;7(8):6751-79. Adaptation to Lactose in Lactase Non Persistent People: Effects on Intolerance and the Relationship between Dairy Food Consumption and Evalution of Diseases. Szilagyi A,

3. Nature. 2011 May 12;473(7346):174-80. Enterotypes of the human gut microbiome. Arumugam M1, Raes J, Pelletier E, et al

4. J Transl Med. 2017; 15: 73. Influence of diet on the gut microbiome and implications for human health Rasnik K. Singh, Hsin-Wen Chang, Di Yan, et al 

5. J. Appl. Microbiol. 113, 411–417, g-Aminobutyric acid production by culturablebacteria from the human intestine. Barrett, E. et al. (2012)

6. J. Psychiatr. Res. 63, 1–9 Collective unconscious: how gutmicrobes shape human behavior. Dinan, T.G. et al. (2015)

7. Bioessays 33, 574–581 Probiotics function mechanistically as deliveryvehicles for neuroactive compounds: microbial endocrinology inthe design and use of probiotics. . Lyte, M. (2011)

8. Nutrients. 2018 Feb 28;10(3). Factors Affecting Gastrointestinal Microbiome Development in Neonates. Chong CYL1, Bloomfield FH2,3, O\'Sullivan JM4.

9. Microbiotia in health and disease: from pregnancy to childhood – Brown PD, Claassen E, Cabana MD (editors) – Wageningen Academic Publishers (2018)

10. BMJ. 1989 Nov 18;299(6710):1259-60. Hay fever, hygiene, and household size. Strachan DP1.

11. Cell. 2016 Dec 1;167(6):1495-1510.e12 Microbiota Diurnal Rhythmicity Programs Host Transcriptome Oscillations. Thaiss CA, Levy M, Korem T, et al. 

12. Rust, M.J., Markson, J.S., Lane, W.S., Fisher, D.S., and O’Shea, E.K. (2007). Ordered phosphorylation governs oscillation of a three-protein circadian clock. Science 318, 809–812.

13. Johnson, C.H., Egli, M., and Stewart, P.L. (2008). Structural insights into a circadian oscillator. Science 322, 697–701.

14. Cell. 2013 May 9;153(4):741-3. Microbiota keep the intestinal clock ticking. Henao-Mejia J1, Strowig T, Flavell RA.

15. Circadian Disorganization Alters Intestinal Microbiota Robin M. Voigt, 1 , * Christopher B. Forsyth, Stefan J. Green, Ece Mutlu et al. 

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17. Jakubowicz, D., Barnea, M., Wainstein, J., and Froy, O. (2013). High caloric intake at breakfast vs. dinner differentially influences weight loss of overweight and obese women. Obesity (Silver Spring) 21, 2504–2512.

18. Baron, K.G., Reid, K.J., Kern, A.S., and Zee, P.C. (2011). Role of sleep timing in caloric intake and BMI. Obesity (Silver Spring) 19, 1374–1381.

19. Hsieh, S.D., Muto, T., Murase, T., Tsuji, H., and Arase, Y. (2011). Association of short sleep duration with obesity, diabetes, fatty liver and behavioral factors in Japanese men. Intern. Med. 50, 2499–2502.

20. PLoS One. 2016 Jan 11;11(1):e0146643. Human Gut Bacteria Are Sensitive to Melatonin and Express Endogenous Circadian Rhythmicity. Paulose JK1, Wright JM1, Patel AG1, Cassone VM1.